Waldgedichte
  Urgrossvaters Zitat
 
mein Urgrossvater Konrad W. spflegte zu zitieren:
 
Wer hat dich, du schöner Wald,
abgeholzt und dann verschoben ...
 
Über allen Wipfeln ist Ruh
 
Über allen Wipfeln ist Ruh',
in allen Wipfeln spürest du
kaum einen Hauch.
Die Vögelein schweigen im Walde,
warte nur, balde,
ruhest du auch.
 
Wolfgang Goethe
 
  Das Gebet des Waldes
 
Mensch!
Ich bin die Wärme deines Heimes
in kalten Winternächten,
der schirmende Schatten,
wann des Sommers Sonne brennt.
Ich bin der Dachstuhl deines Hauses
das Brett deines Tisches.
Ich bin das Bett, in dem du schläfst.
Ich bin das Holz,
aus dem du deine Schiffe baust.
Ich bin der Stiel deiner Haue,
die Türe deiner Hütte.
Ich bin das Holz deiner Wiege
und deines Sarges.
Ich bin das Brot der Güte,
die Blume der Schönheit.
Erhöre mein Gebet:
 
zerstöre mich nicht!
 
Bäume sind Heiligtümer
 
Bäume sind Heiligtümer. Wer mit ihnen zu sprechen, wer ihnen zuzuhören weiss, der erfährt die Wahrheit. Sie predigen nicht Lehren und Rezepte, sie predigen, um das einzelne unbekümmert, das Urgesetz des Lebens.
 
Ein Baum spricht: In mir ist ein Kern, ein Funke, ein Gedanke verborgen, ich bin Leben vom ewigen Leben. Einmalig ist der Versuch und Wurf, den die ewige Mutter mit mir gewagt hat. Einmalig ist meine Gestalt und das Geäder meiner Haut; einmalig das kleinste Blätterspiel meines Wipfels und die kleinste Narbe meiner Rinde. Mein Amt ist, im ausgeprägten Einmaligen das Ewige zu gestalten und zu zeigen.
 
Ein Baum spricht: Meine Kraft ist das Vertrauen. Ich weiss nichts von den tausend Kindern, die in jedem Jahr aus mir entstehen. Ich lebe das Geheimnis meines Samens zu Ende, nichts anderes ist meine Sorge. Ich vertraue, dass Gott in mir ist. Ich vertraue, dass meine Aufgabe heilig ist. Aus diesem Vertrauen lebe ich.
Wenn wir traurig sind und das Leben nicht mehr gut ertragen können, dann kann ein Baum sprechen: Sei still! Sieh mich an! Leben ist nicht leicht, leben ist nicht schwer! Das sind Kindergedanken.
Bäume haben lange Gedanken, langatmige und ruhige, wie sie ein längeres Leben haben als wir ......
 
Hermann Hesse
 
Waldfrevel
 
Ein hübsches Pärchen ging einmal
Tief in des Waldes Gründe.
Sie pflückte Beeren ohne Zahl,
Er schnitt was in die Rinde.
 
Der pflichtgetreue Förster sieht's.
Was sind das für Geschichten?
Er zieht sein Buch, er nimmt Notiz
Und wird den Fall berichten.
 
Wilhelm Busch
 
 
Der scheidende Sommer
 
Das gelbe Laub erzittert,
Es fallen die Blätter herab;
Ach, alles, was hold und lieblich,
Verwelkt und sinkt ins Grab.
 
Die Gipfel des Waldes umflimmert
Ein schmerzlicher Sonnenschein;
Das mögen die letzten Küsse
Des scheidenden Sommers sein.
 
Mir ist, als müsst ich weinen
Aus tiefstem Herzensgrund;
Dies Bild erinnert mich wieder
An unsre Abschiedsstund'.
 
Ich musste von dir scheiden,
Und wusste, du stürbest bald;
Ich war der scheidende Sommer,
Du warst der kranke Wald.
 
Heinrich Heine
 
 
Das alte Lied
 
Ich ging im Walde
so für mich hin,
und nichts zu suchen,
das war mein Sinn.
Jedoch ­ o weh! ­ das, was ich fand,
ist meiner Klage Gegenstand:
ich fand im dunklen Waldrevier
Konservenbüchsen und Papier,
Papier, Papier und überall
vom Rost zerfressenes Metall,
zermalmt, verschmiert, verbeult, verdreht,
doch nicht vom Wind hierhergeweht,
vielmehr von denen unentwegt
verstreut, verschüttet, hingelegt
und fortgeschmissen, taub und blind,
die sozusagen Menschen sind,
weil Säue (heisst es allgemein)
es nicht gewesen können sein.
Hier traf ich haufenweise Schmutz ­
trotz Heimat- und Gewässerschutz.
Den Dreck trifft man im Schweizerland
an manchem Wald- und Wiesenrand
und, wenn nicht dort, bestimmt seit je
in jedem einst so saubern See,
der, algengrün und ­ rot vor Scham
sich deshalb längst das Leben nahm
und, wie das Lied hier expliziert,
nur noch als Leiche existiert .....
 
Ich ging im Holz so für mich hin,
und goethisch-heiter war mein Sinn,
jedoch ­ o weh! ­ er war's nicht mehr
nach all dem Unrat ringsumher.
 
Fridolin Tschudi (1912-66)
 
 
Waldlied
 
Arm in Arm und Kron' an Krone steht der Eichenwald verschlungen,
heut hat er bei guter Laune mir sein altes Lied gesungen.
Fern am Rande fing ein junges Bäumchen an sich sacht zu wiegen,
und dann ging es immer weiter an ein Sausen, an ein Biegen;
kam es her in mächt'gem Zuge, schwoll es an zu breiten Wogen,
hoch sich durch die Wipfel wälzend kam die Sturmesflut gezogen.
Und nun sang und pfiff es graulich in den Kronen, in den Lüften,
und dazwischen knarrt' und dröhnt' es unten in den Wurzelgrüften.
Manchmal schwang die höchste Eiche gellend ihren Schaft alleine,
donnernder erscholl nur immer drauf der Chor vom ganzen Haine!
Einer wilden Meeresbrandung hat das schöne Spiel geglichen;
alles Laub war, weisslich schimmernd, nach Nordosten hin gestrichen.
Also streicht die alte Geige Pan der Alte laut und leise,
unterrichtend seine Wälder in der alten Weltenweise.
In den sieben Tönen schweift er unerschöpflich auf und nieder,
in den sieben alten Tönen, die umfassen alle Lieder.
Und es lauschen still die jungen Dichter und die jungen Finken,
kauernd in den dunklen Büschen sie die Melodien trinken.
 
Gottfried Keller

Du, trüber Nebel, hüllest mir
Das Tal mit seinem Fluß,
Den Berg mit seinem Waldrevier
Und jeden Sonnengruß.

Nimm fort in deine graue Nacht
Die Erde weit und breit!
Nimm fort, was mich so traurig macht,
Auch die Vergangenheit!

NIKOLAUS LENAU

Seht meine lieben Bäume an,
Wie sie so herrlich stehn,
Auf allen Zweigen angetan
Mit Reifen wunderschön!

Von unten an bis oben 'naus
Auf allen Zweigelein
Hängt's weiß und zierlich, zart und kraus,
Und kann nicht schöner sein;

Und alle Bäume rund umher,
All alle weit und breit,
Stehn da, geschmückt mit gleicher Ehr,
In gleicher Herrlichkeit.

MATTHIAS CLAUDIUS

Holder Lenz, du bist dahin!
Nirgends, nirgends darfst du bleiben!
Wo ich sah dein frohes Blühn,
Braust des Herbstes banges Treiben.

Wie der Wind so traurig fuhr
Durch den Strauch, als ob er weine;
Sterbeseufzer der Natur
Schauern durch die welken Haine.

Wieder ist, wie bald! wie bald!
Mir ein Jahr dahingeschwunden.
Fragend rauscht es aus dem Wald:
"Hat dein Herz sein Glück gefunden?"

Waldesrauschen, wunderbar
Hast du mir das Herz getroffen!
Treulich bringt ein jedes Jahr
Welkes Laub und welkes Hoffen.

NIKOLAUS LENAU

Du warest mir ein täglich Wanderziel,
Viellieber Wald, in dumpfen Jugendtagen,
Ich hatte dir geträumten Glücks so viel
Anzuvertrauen, so wahren Schmerz zu klagen.

Und wieder such' ich dich, du dunkler Hort,
Und deines Wipfelmeers gewaltig Rauschen —
Jetzt rede du! Ich lasse dir das Wort!
Verstummt ist Klag' und Jubel. Ich will lauschen!

CONRAD FERDINAND MEYER

So sind vielleicht gar bald auch mir verblüht
Die schönen Ahndungsblumen im Gemüt;
Und ist der Wuchs des Lebens mir verdorrt,
Sind auch die Vögel, meine Lieder fort;
Dann bin ich still und tot, wie dieser Baum,
Der Seele Frühling war, wie seiner — Traum.
Als einst der Baum, der nun im Staub verwittert,
So sehnsuchtsvoll empor zum Lichte drang
Und seine Arme ihm entgegen rang,
Als nach dem Himmel jedes Blatt gezittert,
Und als er seinen süßen Frühlingsduft
Beseelend strömte weithin in die Luft —
Schien nicht sein schönes Leben wert der Trauer,
Als mein Gedanke, der sich ewig wähnt?
Als meine Sehnsucht, die nach Gott sich sehnt? -

NIKOLAUS LENAU

Wär's dunkel ich läg im Walde,
Im Walde rauscht's so sacht,
Mit ihrem Sternenmantel
Bedeckt mich da die Nacht;

Da kommen die Bächlein gegangen,
Ob ich schon schlafen tu?
Ich schlaf nicht, ich hör noch lang
Den Nachtigallen zu.

Wenn die Wipfel über mir schwanken,
Da klingt die ganze Nacht.
Das sind im Herzen die Gedanken,
Die singen, wenn niemand wacht.

JOSEPH VON EICHENDORFF

Im Walde deucht mir alles miteinander schön,
Und nichts Mißliebiges darin, so vielerlei
Er hegen mag; es krieche zwischen Gras und Moos
Am Boden, oder jage reißend durchs Gebüsch,
Es singe oder kreische von den Gipfeln hoch,
Und hacke mit dem Schnabel in der Fichte Stamm,
Daß lieblich sie ertönet durch den ganzen Saal.
Ja machte je sich irgendetwas unbequem,
Verdrießt es nicht, zu suchen einen anderen Sitz,
Der schöner bald, der allerschönste, dich bedünkt…

EDUARD MORIKE

Des Vogels Aug verschleiert sich; Er sinkt in Schlaf auf seinem Baum.
Der Wald verwandelt sich in Traum Und wird so tief und feierlich.

Der Mond, der stille, steigt empor: Die kleine Kehle zwitschert matt.
Im ganzen Walde schwingt kein Blatt.
Fern läutet, fern, der Sterne Chor.

CHRISTIAN MORGENSTERN

Dann war ein Bach, ein Wall zu überspringen; Dann noch ein Steg, und vor mir lag der Wald,
In dem schon herbstlich rot die Blätter hingen.
Und drüber her, hoch in der blauen Luft,
Stand beutesüchtig ein gewalt'ger Weih,
Die Flügel schlagend durch den Sonnenduft; Tief aus der Holzung scholl des Hähers Schrei.
Herbstblätterduft und Tannenharzgeruch
Quoll mir entgegen schon auf meinem Wege,
Und dort im Walle schimmerte der Bruch,
Durch den ich meinen Pfad nahm ins Gehege.
Schon streckten dort gleich Säulen der Kapelle
Ans Laubgewölb' die Tannenstämme sich; Dann war's erreicht und wie an Kirchenschwelle
Umschauerte die Schattenkühle mich.

THEODOR STORM

In den Wald bin ich geflüchtet,
Ein zu Tod gehetztes Wild,
Da die letzte Glut der Sonne
Längs den glatten Stämmen quillt.

Keuchend lieg ich. Mir zur Seiten
Blutet, siehe, Moos und Stein —
Strömt das Blut aus meinen Wunden?
Oder ist's der Abendschein?

CONRAD FERDINAND MEYER

O Täler weit, o Höhen,
O schöner, grüner Wald,
Du meiner Lust und Wehen
Andächtger Aufenthalt!
Da draußen, stets betrogen,
Saust die geschäftge Welt,
Schlag noch einmal den Bogen
Um mich, du grünes Zelt!

Da steht im Wald geschrieben
Ein stilles, ernstes Wort
Von rechtem Tun und Lieben,
Und was des Menschen Hort.
Ich habe treu gelesen
Die Worte schlicht und wahr,
Und durch mein ganzes Wesen
Wards unaussprechlich klar.

JOSEPH VON EICHENDORFF

Wie Merlin Möcht ich durch die Wälder ziehn,
Was die Stürme wehen,
Was die Donner rollen
Und die Blitze wollen,
Was die Bäume sprechen,
Wenn sie brechen,
Möcht ich wie Merlin verstehen…

Wurzelfäden streckt
Eiche in den Grund,
Unten saugt versteckt
Tausendfach ihr Mund
Leben aus geheimen Quellen,
Die den Stamm gen Himmel schwellen…

Das Gewitter ist vollbracht,
Stille ward die Nacht; Heiter in die tiefsten Gründe
Ist der Himmel nach dem Streite; Wer die Waldesruh verstünde
Wie Merlin, der Eingeweihte!

NIKOLAUS LENAU

Waldeinsamkeit, Die mich erfreut,
So morgen wie heut In ew'ger Zeit,
Oh, wie mich freut Waldeinsamkeit.

Waldeinsamkeit,
Wie liegst du weit! Oh, dich gereut
Einst mit der Zeit.
Ach, einz'ge Freud, Waldeinsamkeit!

Waldeinsamkeit,
Mich wieder freut,
Mir geschieht kein Leid,
Hier wohnt kein Neid,
Von neuem mich freut
Waldeinsamkeit.

JOHANN LUDWIG TIECK

0 wunderbares, tiefes Schweigen,
Wie einsam ist's noch auf der Welt! Die Wälder nur sich leise neigen,
Als ging der Herr durchs stille Feld.

Ich fühl mich recht wie neugeschaffen,
Wo ist die Sorge nun und Not?
Was mich noch gestern wollt erschlaffen,
Ich schäm mich des im Morgenrot.

Die Welt mit ihrem Gram und Glücke
Will ich, ein Pilger frohbereit,
Betreten nur wie eine Brücke
Zu dir, Herr, übern Strom der Zeit.

Und buhlt mein Lied, auf Weltgunst lauernd
Und schnöden Sold der Eitelkeit; Zerschlag mein Saitenspiel, und schauernd
Schweig ich vor dir in Ewigkeit.

JOSEPH VON EICHENDORFF

Der Mond ist aufgegangen,
Die goldnen Sternlein prangen
Am Himmel hell und klar; Der Wald steht schwarz und schweiget,
Und aus den Wiesen steiget
Der weiße Nebel wunderbar.

Seht ihr den Mond dort stehen?
Er ist nur halb zu sehen
Und ist doch rund und schön!
So sind wohl manche Sachen,
Die wir getrost belachen,
Weil unsre Augen sie nicht sehn.

MATTHIAS CLAUDIUS

Der Mond ist aufgegangen,
die goldnen Sternlein prangen
am Himmel hell und klar;
der Wald steht schwarz und schweiget,
und aus den Wiesen steiget
der weiße Nebel wunderbar.

Wie ist die Welt so stille
und in der Dämmrung Hülle
so traulich und so hold
als eine Stille Kammer,
wo ihr des Tages Jammer
verschlafen und vergessen sollt.

Seht ihr den Mond dort stehen?
Er ist nur halb zu sehen
und ist doch rund und schön!
So sind wohl manche Sachen,
die wir getrost belachen,
weil unsre Augen sie nicht sehn.

Wir stolze Menschenkinder
sind eitel arme Sünder
und wissen gar nicht viel;
wir spinnen Luftgespinste
und suchen viele Künste
und kommen weiter von dem Ziel.

Gott, laß dein Heil uns schauen,
auf nichts Vergänglichs bauen,
nicht Eitelkeit uns freun;
laß uns einfältig werden
und vor dir hier auf Erden
wie Kinder fromm und fröhlich sein.

Wollst endlich sonder Grämen
aus dieser Welt uns nehmen
durch einen sanften Tod:
und wenn du uns genommen,
laß uns in Himmel kommen,
du unser Herr und unser Gott.

So legt euch denn, ihr Brüder,
in Gottes Namen nieder;
kalt ist der Abendhauch.
Verschon uns, Gott, mit Strafen
und laß uns ruhig schlafen
und unsern kranken Nachbarn auch.

Matthias Claudius, 1740-1815

In den Wipfeln des Walds,
Die starr und schwarz
In den fahlen Dämmerhimmel
Gespenstern,
Hängt eine große
Glänzende Seifenblase.

Langsam löst sie sich
Aus dem Geäst,
Und schwebt hinauf
In den Äther.

Da treibt sie schimmernd,
Vom Winde getragen,
Über die Lande.
Immer höher steigt
Die zerbrechliche Kugel.

Pan aber blickt
Mit klopfendem Herzen —
Verhaltenen Atems —
Ihr nach.

CHRISTIAN MORGENSTERN

Wenn die Felder sich verdunkeln,
Fühl ich, wird mein Auge heller; Schon versucht ein Stern zu funkeln,
Und die Grillen wispern schneller.

Jeder Laut wird bilderreicher,
Das Gewohnte sonderbarer,
Hinterm Wald der Himmel bleicher,
Jeder Wipfel hebt sich klarer.

Und du merkst es nicht im Schreiten,
Wie das Licht verhundertfältigt
Sich entringt den Dunkelheiten.
Plötzlich stehst du überwältigt.

RICHARD DEHMEL

Der du die Wälder färbst,
Sonniger, milder Herbst,
Schöner als Rosenblühn
Dünkt mir dein sanftes Glühn.

Nimmermehr Sturm und Drang,
Nimmermehr Sehnsuchtsklang; Leise nur atmest du
Tiefer Erfüllung Ruh.

Aber vernehmbar auch
Klaget ein scheuer Hauch,
Der durch die Blätter weht,
Daß es zu Ende geht.

FERDINAND VON SAAR

0b ich, du Finstrer, einzutreten wage?
Wirst du nicht zürnen der Vermessenheit,
Daß ich den unruhvollen Funken Zeit
Unter das Dach des ewigen Schattens trage?

Wird nicht das Rauschen im verdorrten Laub
Dich aus versteinerter Erhebung schrecken,
Wenn meine Füße deinen eignen Staub,
Uralte Herbste aus dem Schlafe wecken?

Du starrst gedächtnislos aus hohlen Kronen
Hinab auf deinen hundertfachen Tod
Und schauderst nicht, und deine Wipfel wohnen
Der Erde fern im kalten Abendrot.

Ich aber bin der Mensch, des Todes Raub,
Bin Zeit und Glut, bin Schmerz und wilde Blüten
In dunkler Brust will ich den Funken hüten,
Sonst brächst du brennend hinter mir in Staub.

LEO GREINER

Blaugeblendet unter Fichten,
Unter Tannen blieb ich stehn,
Konnte Flammen in dem dichten
Laub der Zwerggestrüppe sehn.
Alle Stämme schienen gläsern,
Ragten hoch in kühlem Glanz;
Sterne blitzten in den Gräsern,
Farbig wie ein Blumenkranz.

War das noch die alte Sonne,
Die da lag auf Fels und Stein?
Selig stieg ich in die Wonne:
Überall der blaue Schein!
Ruhig brannten die Gefühle
Mit dem Staunen des Gesichts:
Überall die keusche Kühle
Eines ungeheuren Lichts!

WLADIMIR VON HARTLIEB

Wie deine grüngoldnen Augen funkeln,
Wald, du moosiger Träumer!
Wie deine Gedanken dunkeln,
Einsiedel, schwer von Leben,
Saftseufzender Tagesversäumer!

Über der Wipfel Hin- und Wiederschweben
Wies Atem holt und voller wogt und braust
Und weiter zieht —
und stille wird —
und saust.

Über der Wipfel Hin- und Wiederschweben
Hoch droben steht ein ernster Ton,
Dem lauschten tausend Jahre schon
Und werden tausend Jahre lauschen…
Und immer dieses starke, donnerdunkle Rauschen

PETER HILLE

Als jüngst die Nacht dem sonnenmüden Land
Der Dämmerung leise Boten hat gesandt,
Da lag ich einsam noch in Waldes Moose.
Die dunklen Zweige nickten so vertraut,
An meiner Wange flüsterte das Kraut,
Unsichtbar duftete die Heiderose.

Ringsum so still, daß ich vernahm im Laub
Der Raupe Nagen, und wie grüner Staub
Mich leise wirbelnd Blätterflöckchen trafen.
Ich lag und dachte, ach, so manchem nach,
Ich hörte meines eignen Herzens Schlag,
Fast war es mir, als sei ich schon entschlafen.

ANNETTE VON DROSTE-HÜLSHOFF

Doch jetzt braust's aus dem nahen Gebüsch,
tief neigen die Erlenkronen sich,
Und im Wind wogt das versilberte Gras.
Mich umfängt ambrosische Nacht: in duftende Kühlung
Nimmt ein prächtiges Dach schattender Buchen mich ein,
In des Waldes Geheimnis entflieht mir auf einmal die Landschaft,
Und ein schlängelnder Pfad leitet mich steigend empor.
Nur verstohlen durchdringt der Zweige laubigtes Gitter
Sparsames Licht, und es blickt lachend das Blaue herein.
Aber plötzlich zerreißt der Flor. Der geöffnete Wald gibt
Überraschend des Tags blendendem Glanz mich zurück.

FRIEDRICH SCHILLER

Wie bist du schön, du tiefer, blauer See!
Es zagt der laue West, dich anzuhauchen,
Und nur der Wasserlilie reiner Schnee
Wagt schüchtern aus der stillen Flut zu tauchen.

Hier wirft kein Fischer seine Angelschnur.
Kein Nachen wird auf deinem Spiegel gleiten.
Wie Chorgesang der feiernden Natur
Rauscht nur der Wald in diesen Einsamkeiten.

Wildrosen streun dir ihren Weihrauch aus
Und würzige Tannen, die dich rings umragen
Und die wie Säulen eines Tempelbaus
Das wolkenlose Blau des Himmels tragen.

Einst kannt ich eine Seele, ernst, voll Ruh,
Die sich der Welt verschloß mit sieben Siegeln,
Die, rein und tief, geschaffen schien wie du,
Nur um den Himmel in sich abzuspiegeln.

HEINRICH LEUTHOLD

Der Nachtwind hat in den Bäumen
Sein Rauschen eingestellt,
Die Vögel sitzen und träumen
Am Aste traut gesellt.

Die ferne schmächtige Quelle,
Weil alles andre ruht,
Läßt hörbar nun Welle auf Welle
Hinflüstern ihre Flut.

Und wenn die Nähe verklungen,
Dann kommen an die Reih
Die leisen Erinnerungen
Und weinen fern vorbei.

Daß alles vorübersterbe,
Ist alt und allbekannt; Doch diese Wehmut, die herbe,
Hat niemand noch gebannt.

NIKOLAUS LENAU

Stimmen, die den andern schweigen,
Jenseits ihrer Hörbarkeiten,
Hört Merlin vorübergleiten,
Alles rauscht im vollen Reigen.
Denn die Königin der Elfen
Oder eine kluge Norn
Hält, dem Sinne nachzuhelfen,
Ihm ans Ohr ein Zauberhorn.
Rieseln hört er, springend schäumen
Lebensfluten in den Bäumen.
Vögel schlummern auf den Ästen
Nach des Tages Liebesfesten,
Doch ihr Schlaf ist auch beglückt;
Lauschend hört Merlin entzückt
Unter ihrem Brustgefieder
Träumen ihre künftgen Lieder.
Klingend strömt des Mondes Licht
Auf die Eich und Hagerose,
Und im Kelch der feinsten Moose
Tönt das ewige Gedicht.

NIKOLAUS LENAU

Bist fremd du eingedrungen,
So furcht Erinnerungen,
Sie stürzen auf Waldwegen
Wie Räuber dir entgegen.

Willst du im Walde weilen,
Um deine Brust zu heilen,
So muß dein Herz verstehen
Die Stimmen, die dort wehen.

NIKOLAUS LENAU

Am Waldessaume träumt die Föhre,
Am Himmel weiße Wölkchen nur,
Es ist so still, daß ich sie höre,
Die tiefe Stille der Natur.

Rings Sonnenschein auf Wies' und Wegen,
Die Wipfel stumm, kein Lüftchen wach,
Und doch es klingt als ström' ein Regen
Leis tönend auf das Blätterdach.

THEODOR FONTANE